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Poetische Selbstbilder: Deutsch-Judische Und Jiddische Lyrikanthologien 1900-1938
Bok av Carmen Reichert
Leserinnen und Leser kennen Lyrik vor allem aus Anthologien. Judische Lyrik wird dabei meist mit der Dichtung von Shoah-UEberlebenden assoziiert. Judische Herausgeber sammelten jedoch schon viel fruher judische Dichtung. Den Anspruch, fur eine Gruppe zu sprechen und damit ihr Bild in der OEffentlichkeit mitzubestimmen, machte die Gattung Anthologie nicht nur fur literarisch Ambitionierte attraktiv, sondern auch fur unterschiedliche politische Gruppen. Unter Titeln wie Junge Harfen (1903), Lyrische Dichtung deutscher Juden (1920) oder Judische Volkslieder (1935) versuchten Kulturzionisten, eigenstandige judische Dichtungstraditionen zu etablieren. Doch auch alternative kulturpolitische Konzepte wahlen die Anthologie als Mittel, wie etwa in Julius Moses Anthologie Hebraische Melodien (1920), die das Judische uber das Thema und nicht die Herkunft bestimmt. Einige jiddischsprachige Anthologien schlugen einen ahnlichen Weg ein: Sie versuchen, eine nationale jiddische Dichtung zu etablieren, indem sie auf die von Herder zuruckgefuhrte Idee von in der Volksdichtung verwurzelten Nationalliteraturen setzen. Die Anthologie zeigt sich dabei nicht nur als Publikationsform, sondern auch als literarische Gattung mit einem dezidierten Bewusstsein uber ihre Geschichte. Carmen Reichert zeigt, dass Anthologien nicht nur als ein zu Unrecht vernachlassigter Teil unserer Literaturgeschichte anzusehen sind, sondern auch als wichtige historische Dokumente einer um ihr kollektives Wesen und dessen Darstellung nach aussen ringenden Gemeinschaft.