Verfassungsanderungen in etablierten Demokratien : Motivlagen und Aushandlungsmuster

Bok av Astrid Lorenz
Verfassungen sind Macht-Ordnungen. Sie befugen und bandigen, verleihen Rechte und setzen Grenzen - den Burgern ebenso wie dem Staat. Ihre Kombination mit dem demok- tischen Prinzip regelmaiger Wahlen gilt als intelligenteste Methode, das menschliche Zusammenleben zum Vorteil aller langfristig zu organisieren und heterogene Interessen in einer Gemeinschaft zu integrieren. So einleuchtend die Relevanz von Verfassungen, so wenig wissen wir doch uber ihr Schicksal nach der Verabschiedung. Die Politikwiss- schaft fiel offensichtlich auf ihre eigenen Deutungen herein: Es war ja sie selbst, die seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts nach uberstandenen Weltkriegen und der Anomie des Neuanfangs die Systeme des Westens als besonders fest gefugt bewertete und im Eindruck der Blockkonfrontation den hohen Respekt vor den Verfassungen als wesensbestimmend fur die Demokratie. Als die Akteure langst flugge geworden waren und die Verfassungen bereits viel haufiger anderten, als angenommen, banden dann der weltumspannende for- le Triumph des Konstitutionalismus"e; (Kay 2001: 16; Herrmann/Schaal/Vorlander 2003) und die Debatte um eine europaische Verfassung die Aufmerksamkeit und lenkten von klassisch-nationalen Verfassungsentwicklungen ab. Solche klassisch-nationalen Verfassungsanderungen konnen als groere Reformen - fentliche Aufmerksamkeit erregen, wie die deutsche Foderalismusreform im Jahr 2006. Sie konnen sich sogar in der Einfuhrung einer neuen Verfassung manifestieren, sofern diese die Identitat bzw. Legitimationsgrundlage des politischen Systems nicht vollig abschafft (denn dann ware von einer Revolution zu sprechen). Sie konnen aber auch marginal erscheinen und trotzdem als steter Tropfen den Stein hohlen"e;, also in ihrer Summe unbemerkt Inhalt und Funktionsweise einer Verfassung erheblich verandern.