Räume durchschreiten : Zu Schuberts Klangbildern

Bok av Winfried Rösler
Gängigem Topos zufolge, ist er die Kunst-Figur des 19. Jahrhunderts: der Wanderer. Abhold dem Maschinenzeitalter und zugetan dem Naturgedanken, nistet er, der Wanderer, samt Stock und Hut in Geschichten sich ein, die ihm das zugestehen, was er um seiner selbst Willen bedarf: Landschaften, Weite, Räume. Von jenen gilt, dass er sie zu durchschreiten habe, wozu freilich auch das Stolpern, Stürzen und Sich-im-Kreise-Drehen zählen mag.Dort, wo so etwas inszeniert wird, in den Geschichten der Romantik allemal, wird das Wandern zugleich zum Symbol: Durchschritten werden nicht nur die Räume des Äußeren, sondern zugleich auch jene des eigenen Inneren. Das Stolpern wird zum Tasten und Stochern im Terrain des Vergangenen und Vergessenen.Wer solche Geschichten geschrieben, ist - Schubert. Seine Partituren, etwa seine kammermusikalischen, evozieren Bilder, in denen das Durchschreiten von Räumen zum Erkunden der Vergangenheit gerät, die Landschaft zur Seelenlandschaft gerinnt, die Wanderung zur Lebenswanderung sich wandelt. Dieser narrative Gestus ist vergleichbar jenem, der sich in der Literatur der damaligen Zeit findet: bei Keller so gut wie bei Stifter, bei Grillparzer so gut wie bei Büchner.Dass das musikalische Graben in den Räumen der Erinnerung auf dem Granitboden des Verdrängten und Unbewussten stößt, nimmt nicht Wunder. So komplex ist Schuberts Kompositionstechnik, dass sie an manchen Stellen die Techniken von Freuds Traumtheorie vorwegnimmt. Schubert erweist sich als unbewusster Cicerone durch das Terrain des Unbewussten.