Krisengeschopfe : Zur Theorie und Methodologie der Objektiven Hermeneutik

Bok av Dirk Pilz
1 Dem Einwandfreien passiert tatsachlich nichts. Theodor W. Adorno Uber die Kunst lasst sich merkwurdig wenig Genaues und 2 kinderleicht viel Ungefahres schreiben. Friedrich Durrenmatt Es ist etwas Seltsames, ein Buch zu lesen. Das trifft womoglich auf alle Bucher zu, fur literarische Texte gilt es aber in besonderer Weise. Man wei nicht recht, wie einem dabei geschieht. Soviel scheint allerdings festzustehen: Wer Literatur liest, erfreut sich daran, dass einem etwas zu verstehen gegeben wird. Genauso gilt jedoch das Gegenteil. Wer Literatur liest, versteht immer auch nicht. Es ist beides zugleich, was den eigentumlichen Reiz literarischer Texte ausmacht. Nicht alles ist zu verstehen, und dennoch versteht man immer etwas. Das stellte noch keinen entscheidenden Unterschied zwischen literarischen und nichtlite- rischen Texten dar, wurden Leser von Literatur das Gelesene nicht derart auf sich beziehen, dass sie die Lekture regelmaig verwirrt, beunruhigt, vergnugt, erheitert. Literatur lasst sich nicht unbeteiligt konsumieren; sie macht etwas mit ihren Lesern, nicht einfach, weil sie auergewohnlich gemacht ist, sondern weil sie einer Erfahrung stattgibt, die dem Erfahrenden nicht auerlich ist. Das ist das Merkwurdige: Literatur greift etwas an und in uns auf, das irgendwie wesentlich zu dem zu gehoren scheint, was uns ausmacht. Dieses Buch behauptet, die - sache hierfur liege in einer Beschaffenheit, die Literatur mit den Lesern teilt: ein Krisengeschopf zu sein. Denn beide, sowohl Literatur als auch ihre Leser, sind 1 Adorno 1975: 45. - Zwei Anmerkungen sind zu Beginn notwendig.