Islamische Geschichte und deutsche Islamwissenschaft . Islamologie und die Orientalismus-Debatte

Bok av Bassam Tibi
Fragen zum Islam sind in der politischen Debatte und im europischen Alltag gegenwrtiger und drngender denn je. Zwar erfreut sich die deutsche Islamwissenschaft mitsamt ihren Untergliederungen in Arabistik, Turkologie, Iranistik etc. unter dem politischen Einfluss der islamischen Migration nach Europa einer zunehmenden Bedeutung durch die Gewhrung immenser Drittmittel; sie ist jedoch seit ihren Anfngen in ideologischen Sichtweisen gefangen, aus denen sie sich bis heute nicht befreit hat. Die deutsche Islamwissenschaft ging vom Stereotyp des homo islamicus aus, einem starren kulturellen Image des Anderen, des Fremden, der in den rassistischen Anfngen unter Carl Heinrich Becker als unterlegener Untermensch gezeichnet und im gegenwrtigen anderen Extrem als ausschlielich positiv und in einer sogenannten Kultur der Ambiguitt lebend betrachtet wird. Beide Sichtweisen, Verteufelung wie Verherrlichung des vermeintlichen homo islamicus, sind Schpfungen der deutschen Islamwissenschaft, die mehr mit den deutschen Wissenschaftlern als mit ihrem Forschungsgegenstand zu tun haben und in der Folge wenig zu einem wirklichen Verstndnis der islamischen Zivilisation beitragen. Ein solches erfordert neben einer ideologiefreien Herangehensweise insbesondere auch die Betrachtung der islamischen Geschichte im Rahmen einer historischen Sozialwissenschaft. Islamforschung muss mehr sein als eine Auseinandersetzung mit Theologie und Philologie, und kolonialistische Sichtweisen auf Muslime - gleich, ob negativ oder positiv - sind weder wissenschaftlich noch sinnvoll. Tibi fordert daher nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Auseinandersetzung mit der islamischen Zivilisation: Zum einen eine vollstndige Entkolonialisierung, zum anderen methodisch und inhaltlich das Anwenden historisch-sozialwissenschaftlicher und religionskritischer Analysen, die nicht den Anderen unzulssig auf sein ewigwhrendes Anderssein festlegen, sondern Wandel miteinbeziehen. Tibis augenffnende Analyse ist aktueller denn je und taucht viele Ereignisse des Tagesgeschehens in ein ganz anderes Licht. So betrachtet er in einem ausfhrlichen Schlusskapitel auch die gegenwrtigen Migrationsbewegungen aus dem islamischen Raum in einem welthistorischen Kontext.