Rechtliche Abgrenzung von Lebensmitteln und Arzneimitteln unter besonderer Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Aspekte

Bok av Jan Winters
Hintergrund und Fragestellung: Die rechtliche Abgrenzungsfrage zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln nimmt eine prometheische Position unter den lebensmittelrechtlichen Entscheidungen ein. Auf Basis der gegenwärtigen Rechtslage fordern die Gerichte in einem verstärkten Maße, dass die Grenzziehung zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln anhand naturwissenschaftlicher Erkenntnisse vorzunehmen ist. Vor diesem Hintergrund gilt es festzustellen, welcher Lösungsbeitrag zu dieser Fragestellung aus naturwissenschaftlicher Sicht geleistet werden kann.Ziel und Vorgehensweise: Ziel der Arbeit ist es, die rechtliche Abgrenzungsproblematik zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln unter besonderer Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Aspekte zu analysieren. Anhand einer Synthese der Ergebnisse soll abschließend ein juristisch-naturwissenschaftlicher Lösungsalgorithmus für die Abgrenzungsfrage entwickelt werden.Ergebnisse: Anhand der Rechtsnormen- und Rechtsprechungsanalyse zeigt sich, dass die Rechtsbereiche für Arzneimittel und Lebensmittel durch das Recht der EU überlagert sind. Dementsprechend besteht das Erfordernis, nationales und europäisches Recht in Bezug auf die Abgrenzungsfrage gleichermaßen zu berücksichtigen.Auf dieser Grundlage kann ermittelt werden, dass die Abgrenzung zwischen den beiden Produktgruppen in erster Linie dem Gesundheitsschutz dient. Somit ist es möglich, den Gegenstandsbereichs der Untersuchung einzugrenzen. Dieser bezieht sich überwiegend auf bestimmte Produkte, welche Stoffe enthalten, die sowohl in Lebensmitteln als auch in Arzneimitteln verwendet werden (z.B. "Botanicals"). In der Praxis erfolgt die Abgrenzung am Arzneimittelbegriff. Entscheidungserheblich wird das Vorliegen eines Arzneimittels dabei mit der Feststellung "pharmakologischer Wirkungen" begründet. Gegenbegrifflich und zur Widerlegung dieser Effekte wird auch die "ernährungsphysiologische Wirkung" als Kriterium herangezogen. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Gerichte die Auslegung zum Bedeutungsinhalt dieser Kriterien vollständig an die Naturwissenschaft übertragen. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass aus naturwissenschaftlicher Sicht keine Basis geboten ist, auf der diese gerichtliche Anforderung erfüllt werden kann. Dieser Befund führt schließlich zu der Annahme, dass die mangelhafte Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen Jurisprudenz und Naturwissenschaft das zentrale Problem der Abgrenzung darstellt. Dementsprechend fehlt auch die Grundlage zur Entwicklung eines praxistauglichen Abgrenzungsmodells.Diskussion: Die Befunde der Untersuchung geben Anlass dazu, das eingangs formulierte Ziel der Arbeit noch einmal aufzugreifen und Ansätze zur Entwicklung eines konkreten Lösungsalgorithmus in einem übergeordneten Sinne zu diskutieren. Ein Bezugspunkt der Diskussion ist die Abgrenzungssystematik, wonach die Abgrenzung derzeit primär am unionsrechtlichen Arzneimittelbegriff vorgenommen wird. Dieser Auffassung ist jedoch, seit Änderung der nationalen Arzneimitteldefinition des § 2 AMG im Jahr 2009, entgegenzutreten. Dabei wird in Erwägung gezogen, dass § 2 AMG 2009 nunmehr die abgrenzungsrelevante Norm darstellt. Da hingegen zur Auslegung des Arzneimittelbegriffs bislang keine eindeutigen Kriterien entwickelt werden konnten, ist fraglich, ob § 2 AMG 2009 hinreichend bestimmt ist. Insoweit liegt es nahe, diese Norm einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. Das Ergebnis dieser Prüfung zeigt, dass § 2 AMG nicht hinreichend bestimmt ist. Somit ist ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG anzunehmen. In Bezug auf diese Befunde stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten bestehen und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um dennoch Ansätze für einen Ausweg aus dem Abgrenzungsdilemma