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Expertisen des Alltags : Versuche über das Volkstheater auf der Bühne, im Fernsehen und Öffentlichen Raum
Bok av Johann Bischoff
Die Merseburger Medienpädagogische Schriften erscheinen als Schriftenreihe des Fachbereichs SozialeArbeit.Medien.Kultur der Hochschule Merseburg und befassen sich in verschiedenen Schwerpunkten mit Lehrinhalten der Kultur- und Medienpädagogik sowie aktuellen Themen der wissenschaftlichen Forschung im Bereich der Medien- und Theaterwissenschaft und Kulturellen Bildung. Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe "Expertisen des Alltags" ist das Volkstheater in seinen traditionellen und aktuellen postdramatischen Erscheinungsformen. Am Beispiel von Mistero Buffo (Oszöne Fabeln) des Autors und modernen Spielmanns Dario Fo, der 1997 für seine einzigartige Theaterarbeit den Nobelpreis für Literatur erhielt, werden im ersten Kapitel die Erzähltraditionen der mittelalterlichen Spielleute untersucht. Was uns die szenischen Bilder der einfachen Spielleute noch heute angehen, zeigt Fo auf unnachahmlich komische Weise, die unterhaltend und politisierend zugleich wirkt. Ganz allein auf leerer Bühne, in schlichtes Schwarz gekleidet und mit einfacher Alltagssprache die Dinge der biblischen Geschichte erzählend, stellt Fo eine unvergleichliche Intimität zu seinem großen Publikum her. Die alten Geschichten sprechen die Erfahrung der Machtlosigkeit an und richten die Würde der Schwachen wieder auf, heißt es in der Begründung der Schwedischen Akademie. "Die Stärke Fos liegt darin, dass er Texte schafft, die gleichzeitig amüsieren, engagieren und Perspektiven vermitteln. Wie in der Commedia dell'arte sind sie ständig für neuzuschaffende Zusätze und Verschiebungen offen und laden die Schauspieler die ganze Zeit zu Improvisationen ein, wodurch das Publikum auf schlagkräftige Weise aktiviert wird. Es ist ein Werk von imponierender künstlerischer Vitalität und Breite." (Presseerklärung vom 9.10.1997). Mit Blick auf Publikumsnähe hat sich in den letzten Jahren auch in Deutschland eine Theaterkunst entwickelt, die wieder ganz selbstbewusst den Begriff des Volks- oder Bürgertheaters führt und authentische Geschichten mit ,echten Menschen' (Experten des Alltags) erzählen will. Statt Ophelia und Faust steht eine arbeitslose Hartz IV-Empfängerin auf der Bühne oder als Variation zum König Lear erzählen bei der Gruppe She She Pop echte Väter über echte Erziehungsprobleme und werden damit 2011 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Unter dem Titel "Führt Euch auf!" stellt das zweite Kapitel aktuelle Strategien der Realitätskonstruktion im postdramatischen Theater sowie in angrenzenden Formaten im Öffentlichen Raum vor. Auf der Grundlage dieses neuen dokumentarischen Theaters wird im dritten Kapitel am Thema "Theatrale Erforschung der Realität oder Der inszenierte Untergang eines Dorfes" ein mögliches Inszenierungskonzept zur Geschichte und Vernichtung des sächsischen Ortes Heuersdorf erstellt. Das vierte Kapitel verweist am Ende auf die inhaltlichen Interessen und formalen Strategien von volknahen Daily Soaps im Fernsehen. Am Beispiel von "Gute Zeiten - Schlechte Zeiten" wird eine mediale Struktur- und Rollenanalyse vorgenommen, die deutlich macht, mit welchen Klischees und einfachen Rollenbildern diese Serien in der Regel arbeiten. "Türkisch für Anfänger" zeigt dagegen (wenigstens noch in den ersten Folgen) eine Dokusoap, in der sich Bildungsanspruch und Unterhaltung zu verbinden suchen. Letzteres war immer Anliegen guter Volkskunst, deren Inhalte sich aus dem Alltag der Menschen ergeben und wieder dort hinein wirken. "Das Volksstück ist eine lange verachtete und dem Dilettantismus und der Routine überlassene Gattung. Es ist an der Zeit, ihr das hohe Ziel zu stecken, zu dem ihre Benennung diese Gattung eigentlich von vornherein verpflichtet." (Bert Brecht)